12.01.2021

Was ein Oberschenkelhalsbruch und Mensch-ärgere-Dich-nicht mit Demenz zu tun haben…

Oberschenkelhalsbruch, Mensch-Ärger-Dich-Nicht, Demenz

Eine ganze Menge, wenn die Hauptpflegeperson eines Demenzkranken die Treppe hinunterstürzt. Aber nochmal von vorne…
Montagmorgen, das Telefon klingelt. „Hallo, hier ist die Oma. Ich glaube ich bin heute Nacht gestürzt. Ich kann mich nicht erinnern. Aber jetzt liege ich im Bett und kann nicht mehr aufstehen.“

Ahhhja. Dann rufen wir doch mal den Rettungswagen. Tatsächlich kommt uns hier Corona zugute, denn die Vollmachten hat natürlich mein Mann und der sitzt hier im Homeoffice. Also ab ins Krankenhaus. Einfach knapp eine Stunde Fahrt. Vorher natürlich noch den demenzkranken Opa einpacken, denn allein lassen kann man ihn schlecht.

Der ist völlig fertig mit den Nerven. Weil er nicht wirklich helfen kann. Weil die Oma sein ein und alles ist. Weil er schon wieder vergessen hat, warum die Oma jetzt ins Krankenhaus muss.

Wenn die Hauptpflegeperson ausfällt…

Und dann kommt das Brett: Oberschenkelhalsbruch. Das bedeutet mal eben ein neues Hüftgelenk: ca. 10 Tage Aufenthalt im Krankenhaus. Reha: drei Wochen in der Reha-Klinik. Natürlich zwei Stunden Fahrzeit entfernt. Kann man machen, Hauptsache sie wird wieder fit. Klar. Aber… was machen wir 5 Wochen lang mit dem Opa???

Wohin mit dem Opa?

Gar kein Problem, wir haben ein Gästezimmer, er kann bei uns wohnen. Wir sind ja sowieso daheim im Home Office. Nur leider haben wir diese Rechnung ohne den Herrn Alzheimer gemacht. Schon am ersten Abend ist der Opa bei uns nicht zu beruhigen. Er rennt hin und her, fragt nach der Oma, fragt warum seine Reisetasche hier ist und wann er endlich nach Hause kann. Er wird immer nervöser, atmet hektisch. Das wird so nichts…

Also packt mein Mann seine Reisetasche und zieht zum Opa. Arbeiten kann er da auch. Theoretisch. Praktisch ist es vielleicht etwas vergleichbar mit einem kleinen Kind. Es reicht einfach nicht, dass jemand da ist. Er braucht Ansprache und Beschäftigung, sonst wird er nervös.

Am Wochenende holen wir ihn tagsüber zu uns, die Enkelinnen lenken ihn ab. Wir holen ein paar Sachen aus dem Baumarkt und lassen ihn mit ihnen werkeln. Er blüht auf und erholt sich gut von der eher einsamen Woche. Aber das kann jetzt so einfach keine fünf Wochen weiter gehen.

Trotz großem Verständnis unserer Arbeitgeber… die Arbeit bleibt liegen und das holt uns irgendwann ein. Auch die Kinder kommen viel zu kurz. Es bleibt zu wenig Zeit für beide „Pflegebaustellen“.

Die Rettung – der ambulante Pflegedienst

Unglaubliche Unterstützung erhielten wir durch einen ambulanten Pflegedienst, der sich auf Demenzkranke spezialisiert hat. Die – in unserem Fall Damen- kommen nicht nur zum „Waschen, Essen, Medikamente geben“, das hätte uns jetzt auch gar nicht gereicht.
Sie spielen mit dem Opa Mensch-ärgere-Dich-nicht, laufen mit ihm zu seinem geliebten Tennisheim und begleiten ihn zum fünften Mal in der Woche zur Bank, damit er seine Kontoauszüge holen kann. Sie hören sich die Geschichten seiner Kindheit an, auch wenn sie sie schon auswendig mitsprechen können. Wenn er sie bittet mittags mit ihm zu essen, fragen sie uns vorher und machen es dann gerne. Sie lehnen Trinkgeld vom Opa ab und informieren uns.

Freundlich lächelnde ambulante Pflegekraft in ihrem Auto.

Warum die das können? Man bucht sie für feste Stunden. Sehr flexibel übrigens! Und in dieser Zeit tun sie, was nötig ist und gewünscht wird.
Wir können mit gutem Gewissen unserer Arbeit nachgehen, mit den Kindern Hausaufgaben machen und spielen und am Wochenende sind genügend Nerven für den Opa übrig, dass wir wirklich eine schöne Zeit verbringen können.
Der Haken? Natürlich hat das einen Haken. Sonst würde es vermutlich jeder so machen. Der Spaß ist nicht ganz billig. Wir sind unendlich dankbar, dass wir uns das jetzt – zumindest vorübergehend- leisten konnten.
Auf Dauer sieht die Sache anders aus. Zumindest mit Pflegegrad 1 (Anmerkung: zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wurde dem Antrag auf Pflegestufe 2 statt gegeben).
Und was sagt der Opa dazu? Naja, er weiß am nächsten Tag nicht mehr, dass jemand da war. Aber er hatte, als der „Besuch“ noch da war, immer ein Lächeln im Gesicht. Und Gefühle vergisst der Mensch eben nicht…

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