11.03.2020

Pflegegrad beantragen- ist es schon schlimm genug?

Pflegegrad für einen Angehörigen beantragen

Einen Pflegegrad beantragen? Aber dann bin ich ja ein Pflegefall!!! Und der Ganze Papierkram, da kenne ich mich gar nicht aus. Wir kommen doch noch ganz gut zurecht…

So fällt die erste Reaktion oft aus, wenn von einem Arzt oder einer Beratungsstelle für Senioren, Pflegebedürftige und Pflegende Angehörige der Vorschlag kommt: „Vielleicht sollten Sie sich schon einmal um einen Pflegegrad kümmern.“

Das Eingeständnis „ich schaffe nicht mehr alles allein, ich brauche Unterstützung“ ist ein großer Schritt. Aber eine gute Beratung, Informationen zu Hilfsangeboten und der finanzielle Beitrag durch das Pflegegeld, z.B. für Pflegemittel oder eine Haushaltshilfe, schaffen Entlastung. Nicht nur beim Gepflegten, sondern auch bei den Angehörigen.

Ein „zu früh“ gibt es da fast nicht, sobald körperliche oder geistige Einschränkungen den Alltag erschweren. Denn wird dem Antrag nicht statt gegeben, kann man widersprechen oder einfach zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen Antrag stellen.

Ein „zu früh“ gibt es da fast nicht, sobald körperliche oder geistige Einschränkungen den Alltag erschweren. Denn wird dem Antrag nicht statt gegeben, kann man widersprechen oder einfach zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen Antrag stellen.

Nur wenige Tage später meldet sich der berühmte MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) und kündigt eine Gutachterin an, die überprüft, wie gut der Opa denn noch so drauf ist und ob eine Unterstützung gerechtfertigt ist.

Gutachten durch den MDK

Am Montag ist es dann soweit, pünktlich um 07:30, keine Minute später…

Meine Anfahrt von 45 Minuten, die Tatsache, dass ich zwei kleine Kinder in die Schule und den Kindergarten bringen muss interessiert nicht. Arbeiten? Ja dann halt heute etwas später.

Da sitzen wir also. Der Opa, der schon wieder vergessen hat, was ansteht. Die Oma, mit den Nerven und körperlich ziemlich am Ende. Ich, die zweite Pflegeperson, die sich um alles kümmert, was die beiden allein nicht mehr schaffen. Und die Dame vom MDK, die jetzt entscheidet, ob es beim Opa schon „schlimm genug“ ist.

Zunächst wird ausschließlich der Opa befragt, Oma und ich sollen uns raushalten. Die ersten Fragen machen uns allen bewusst, wie weit die Krankheit schon fortgeschritten ist.

Ob er Geschwister hatte, weiß er nicht. An seine Ausbildung, seinen Beruf kann er sich nicht erinnern. Wer Kanzler oder Kanzlerin ist weiß er nicht. Aus den Nachrichten vom Wochenende weiß er nichts mehr. Man merkt ihm an, dass er sich ein bisschen schämt. Immer wieder schaut er Hilfe suchend zu seiner Frau. Ich versuche ihn zu beruhigen und sage immer wieder, dass er das ganz toll macht. Aber es ist eine wirklich unangenehme Situation für alle.

Bei der Frage nach Enkeln kommt wie aus der Pistole geschossen: „Ich habe zwei Enkelinnen. Sie sind 5 und 7.“ Und da muss ich fast ein Tränchen verdrücken.

Jetzt sind Oma und ich dran. Wir erzählen davon, dass er sich schnell verläuft, wenn man außerhalb des Hauses unterwegs ist. Dass er wie verrückt Oma in der Nachbarschaft gesucht hat, als sie für 2 Tage im Krankenhaus war. Er hatte es vergessen und sich furchtbar Sorgen gemacht. Das er, bis er die eine Treppe in den Keller gelaufen ist nicht mehr weiß, was er dort sollte. Auf den Fernseher oder ein Buch kann er sich nicht mehr konzentrieren. Er läuft den ganzen Tag der Oma nach, weil er nicht weiß, was er machen soll. Die einzigen Themen, zu denen ihm noch etwas einfällt sind die Heizung und das Wetter. Im Haushalt helfen klappt nicht mehr. Einmal, weil er sich nicht merken kann, was er machen soll und weil er schon viel zu schusselig geworden ist. Der Papierkram, die Finanzen und die Organisation des Alltags übernehmen Oma und ich.

Ja Körperhygiene bekommt er mit ein paar Erinnerungen noch gut selbst hin. Essen kann er noch selbst. Kochen sollte man ihn aber lieber nicht mehr lassen. So geht es eine Weile.

Dann nach ca. 1 Stunde folgt die erste Einschätzung: Es sind noch keine pflegerischen Maßnahmen notwendig. Außerdem beträfe die Pflege nur den Aufenthalt im Zuhause. Was außerhalb nicht mehr klappt ist nicht relevant. Der Bericht zu diesem Besuch geht an die Pflegekasse und die wird sich dann bei uns melden. Auf Wiedersehen.

Pflegegrad beantragen. Auch pflegende Angehörige brauchen Unterstützung

Jetzt sitzen wir nur noch zu dritt am Esstisch des gerade so bedrückend wirkenden Reihenhäuschens. Keiner sagt etwas. Opa fängt sich am schnellsten. Er schaut mal nach dem Wetter. Oma und ich müssen erstmal verdauen, wie schlecht es um sein Gedächtnis tatsächlich steht. Im Alltag kann er manches noch überspielen. Aber es geht ihm NOCH nicht schlecht genug. Darüber sollten wir uns doch jetzt eigentlich freuen, oder?

Nachtrag: Schon eine Woche nach dem Termin und nachdem ich diesen Beitrag begonnen hatte, kam die Nachricht. Es wurde dann tatsächlich doch Pflegegrad 1 bewilligt.

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